Ein geschichticher Rückblick

Geschichte

Architektonisch ist an ihr nichts besonders Auffälliges. Und doch bildet die Alte Scheuer zusammen mit dem benachbarten Helene-Pfleiderer-Haus und dem Bezirksratshaus die neue, alte Mitte des Stuttgarter Stadtteils Degerloch.

Mit der Inbetriebnahme der Zahnradbahn 1884 erfuhr Degerloch eine starke Veränderung vom landwirtschaftlich geprägten Gemeinwesen hin zu einer der bevorzugten Stuttgarter Wohnlagen. Der Ort, der Mitte des 19. Jahrhunderts das Prädikat "Höhenluftkurort" erlangt hatte, rückte mit dieser Verkehrsverbindung noch näher an Stuttgart heran. Zahlreiche Stuttgarter zogen auf die südliche Höhe, wo in rascher Folge Villen gebaut wurden. 1908 wurde dann Degerloch, nach Stuttgart eingemeindet.

Sanierungsfall (Bild) So sah die Alte Scheuer in Stuttgart-Degerloch vor der Sanierung aus. Links der spätere Anbau, der durch einen Knick im Dach markiert ist, der jedoch abgebrochen wurde.

Trotz des raschen Anwachsens der Bevölkerungszahl hat Degerloch seine Eigenständigkeit bewahrt, was unter anderem in einem sehr intensiven und vielfältigen Vereins- und Gemeinschaftsleben zum Ausdruck kommt. Der Degerlocher Ortskern zeigt noch etliche Merkmale der früheren, dörflichen Struktur - mit ein Grund, warum sich die Degerlocher in ihrem Ortsteil so wohl fühlen. Dieser Zusammenhalt im Ort war auch der ausschlaggebende Grund für den Erhalt der Alten Scheuer.

Rest eines barocken Gehöfts

Die 1737 errichtete Doppelscheuer gehörte einst zusammen mit dem benachbarten Helene-Pfleiderer-Haus zum letzten noch bestehenden barocken Gehöft in der alten Degerlocher Ortsmitte. Besitzer waren die Degerlocher Familien Gohl, Raff und Frech. Entsprechende Inschriften finden sich im bauzeitlichen Verputz des neuen Veranstaltungssaals. Zuletzt wurde die Scheuer als Lagerraum und Autowerkstatt genutzt und war durch jahrzehntelange Vernachlässigung stark geschädigt. Charakteristisch sind die zwei nebeneinander liegenden Scheunentore und die beiden Durchfahrten, die durch eine mit Feldsteinen ausgemauerte, hüfthohe Wand getrennt sind. Die Erkenntnis, dass es sich bei der Alten Scheuer um ein erhaltenswertes Kleinod handelt, war nicht von Anfang an bei allen Degerlochern vorhanden. Viele empfanden die Investitionssumme für ein so altes Gebäude als viel zu hoch, und nicht wenige empfahlen die Scheuer als geeignetes Übungsobjekt für die benachbarte Feuerwehr. Mittlerweile haben viele der damaligen Kritiker ihre Meinung geändert und sind von der Umsetzung des denkmalpflegerischen Konzepts verbunden mit der guten Nutzbarkeit schlichtweg begeistert. Denn heute ist das Gebäude ein schmucker Veranstaltungsraum, der je nach Bestuhlung bis 150 Personen Platz bietet. Eine gut ausgebaute Infrastruktur erlaubt es, sowohl im Haus wie auf dem angrenzenden Festplatz Veranstaltungen und Feste durchzuführen. Doch bis es so weit war, gingen etliche Jahre ins Land, und viel Geduld und Geld waren nötig, um das stark angegriffene Gebäude zu retten.

Jahrelange Hängepartie

Bereits Ende der 1980er-Jahre wollte die Stadt Stuttgart als Eigentümerin die Alte Scheuer für kulturelle Zwecke nutzen. Von einem neuen Domizil für die Stadtbücherei war die Rede, ebenso von einem Jugendtreff oder von Räumen für die Stadtteilkultur. Doch letztendlich fehlte das Geld, beziehungsweise die Nutzung als Bibliothek war aus baulichen und organisatorischen Gründen für die Stadt Stuttgart nicht machbar. 1994 wurde der von der Stadt geplante Abriss der Scheuer und der Verkauf des Geländes von einigen beherzten Degerlochern verhindert, die mit der Stadt ein bis 2055 laufendes Erbbaurecht für den Förderverein Degerloch aushandelten.
Dem rührigen Vorsitzenden des Vereins gelang es mithilfe vieler publikumswirksamer Aktivitäten namhafte Beträge einzuwerben. Den Weg frei für die Sanierung machte zwei Jahre später aber erst ein Vermächtnis der Degerlocherin Elisabeth Reichert zugunsten des heute 90 Mitglieder zählenden Fördervereins Degerloch. Damit sah sich der Verein über Nacht in die Lage versetzt, das Projekt "Alte Scheuer" in Angriff zu nehmen.
Das hieß zuerst einmal, weitere Eigenmittel aufzutreiben: die Erbschaft von Annelore Adam, einer weiteren heimatbewussten Degerlocherin, vermehrte das Budget. Die damalige Landesgirokasse spendete einen namhaften Betrag. Durch den Verkauf von Kunstkalendern, welche die Druckerei Lamparter gestiftet hatte, sowie durch die Spenden von Historiker und Schriftsteller Gerhard Raff und Stadtrat Klaus Rudolf, Spenden der Architekten Rolf Armbruster jun. und Rolf Armbruster sen., Einzelspenden und gespendeten Leistungen der örtlichen Handwerker und Ingenieure in beträchtlicher Höhe betrugen die Eigenmittel des Vereins bis zum Abschluss des Projekts insgesamt 1.160.000,- DM. Noch einmal so viel Geld kam dann aus öffentlichen Quellen zusammen. Die Denkmalstiftung Baden-Württemberg , das Landesdenkmalamt und die Stadt Stuttgart als Besitzerin deckten die Sanierungskosten soweit ab, dass bis auf einen kleinen Restbetrag mittlerweile alle Verpflichtungen des Vereins als Bauherrn beglichen werden konnten.

Heute erfreut sich die Alte Scheuer vor allem als Ort für Firmen- und Familienfeiern großer Beliebtheit - nahezu jedes Wochenende feiern Degerlocher und Auswärtige Hochzeiten und Geburtstage in den sanierten Mauern des ehemaligen Lagerraums.

Die in enger Absprache mit dem Denkmalamt entwickelten Sanierungspläne sahen den Abriss und Wiederaufbau des an der Nordseite angebauten Gebäudeteiles vor. Hier entstand ein neuer, behindertengerechter Eingang samt Personenfahrstuhl und ein neues Treppenhaus, das die Brandschutzbestimmungen für Versammlungsräume erfüllt. Auch die vorgeschriebene Abluftanlage und weitere technische Einrichtungen haben hier ihren Platz gefunden, ebenso die neu einbauten Toilettenanlagen. Ansonsten sollte die Bausubstanz so weit wie möglich erhalten bleiben.

Unter dem Sand liegt ein mächtiger Lehmriegel, auf dem sich wiederum Wasser staut. Dementsprechend schwierig gestalteten sich die Stabilisierungsarbeiten für die am einen Ende um 30 Zentimeter abgesackten Außenmauern. Stück für Stück wurden die Mauern aufgegraben und mit Beton unterfangen. Die abgesunkenen Gebäudeteile wurden mit Stützen wieder auf ihr ursprüngliches Niveau gebracht. Die Hoffnungen von Rolf Armbruster jun., die Wasserlinse würde durch die Bauarbeiten am Helene-Pfleiderer-Haus und an der Tiefgarage der benachbarten Schule leer laufen, bewahrheiteten sich leider nicht. So musste zusätzlich eine Dränage gelegt werden, um die Außenmauern trocken zu halten.

Noch schlimmer war es um die in ihrer Größe beeindruckende Holzkonstruktion der Scheune bestellt. 80 Prozent der Balkenköpfe waren verfault, die Scheune stand mehr aus Gewohnheit als durch statisch sichere Holzverbindungen. Architekt Rolf Armbruster jun. machte aus der Not eine Tugend, stülpte über den alten Dachstuhl eine neue tragende Konstruktion, an der die alten Balken nur angeschraubt sind. Positiver Nebeneffekt: In den Zwischenraum der neuen Balkenlage passte jede Menge Dämmstoff, der den Hauptraum der Scheuer im Sommer kühl und im Winter warm hält. Da die Außenmauern wegen konstruktiver Fehler der ehemaligen Erbauer durch den mächtigen Dachstuhl nach außen gedrückt wurden, plante der Statiker unter dem neuen Boden des großen Saals alle 30 Zentimeter stählerne Spanneisen, die die Mauern zusammenhalten.

Die Materialwahl entspricht der landwirtschaftlichen Herkunft des Nutzbaus. Eine raue Holzschalung bildet die Unterseite der Dachkonstruktion, die Fichtenbohlen des großen Saals zeigen schon die Spuren etlicher Feierlichkeiten und die im zweiteiligen Foyer verlegten sägerauen Sandsteinplatten haben bereits eine Patina aus Trittspuren und Rotweinflecken angenommen. Wir wollten aus der Alten Scheuer kein Wohnzimmer machen, sagt Rolf Armbruster jun. Die neuen Einbauten sollen zu den alten, einfachen Materialien passen, und auch ihre (Ab-)Nutzung soll man ihnen genau so ansehen, wie den bauzeitlichen Materialien. Die neuen, konstruktiv notwendigen Anbauten und Verstärkungen sind in ihren Materialien und ihrer Formgebung deutlich vom historischen Bestand abgesetzt. So wurden die Aussteifungen im Foyer nach langer Diskussion mit dem Denkmalamt nicht mit massiven Holzquerschnitten, sondern als schlanke, schwarz lackierte Stahlstreben ausgeführt. Notwendige Ausmauerungen wurden nicht in Backstein gemauert, sondern mit Betonsteinen. Der Anbau, der jetzt Treppenhaus und Technik beherbergt, ersetzt einen etwas größeren Vorgängerbau, der zur ursprünglichen Scheuer erst später hinzugefügt wurde. Der Neubau ist vom historischen Baukörper abgesetzt, und auf der Westseite weist eine Fuge deutlich auf die Grenze zwischen Alt und Neu hin.

Besonders aufwändig waren die baurechtlichen und feuerpolizeilichen Auflagen zu erfüllen, die der Bau eines öffentlichen Veranstaltungsraums mit sich bringt. Der behindertengerechte Zugang wurde über eine elektrisch öffnende Tür im Anbau geschaffen, der auch den Fahrstuhl ins Obergeschoss aufnimmt. Ein zweiter Fluchtweg aus dem Saal ins Erdgeschoss, feuerfeste Türen und ausführliche Fluchtwegepläne garantieren die Sicherheit der Besucher, trieben aber auch die Kosten nach oben. Notwendig wurde auch eine Abluftanlage, deren verzinkte Wickelfalzrohre sich ehrlich und unverkleidet, dafür kostensparend in den nach den beiden wichtigsten Spenderinnen benannten Reichert-Adam-Saal recken. Die zuerst angedachten Fenster in der riesigen Dachfläche konnten so entfallen, was nicht nur dem Charakter der Scheune entspricht, sondern auch sommerliche Überhitzungsprobleme vermeidet. Nach fünf Jahren Planungs- und Bauzeit konnte der Verein die Alte Scheuer im Sommer 2001 feierlich eröffnen. Insgesamt haben der Förderverein Degerloch zusammen mit Architekt Rolf Armbruster jun. sowohl mit der baulichen Ausführung als auch mit dem gelungenen Nutzungskonzept der Alten Scheuer neues Leben eingehaucht und in dem Stadtteil Degerloch zudem zusätzlichen Gemeinschaftssinn gestiftet.

Volker Lehmkuhl, Schwäbischer Albverein